(Leo Baumann)
Wie die erste, vom hl. Anno von Köln im Jahre 1063 geweihte Kirche ausgesehen hat, läßt sich nur vermuten. Sicherlich war es ein bedeutender Steinbau mit einer Holzdecke in der Form einer Basilika. Der zweite Kirchenbau ist auf dem Stifterbild des Glasgemäldes Propst Heinrichs ersichtlich. Eine romanische Basilika mit Hochschiff und zwei Seitenschiffen, die sich mit ihren Pultdächern an die Hochwand anlehnen. Die zwei Türme kamen sicherlich nicht zur Ausführung, da der bis in das 18. Jahrhundert erhaltene Turm ein Stumpf war. Die Apsis fehlt auf dem Bild, obzwar das Glasfenster vorhanden ist. Eine notwendige Vereinfachung des Malers um die Proportion zu erhalten. Und nun zum heutigen Bau der Kirche. Im Gesamteindruck des Baues scheiden sich die romanischen Grundlagen und die gotische Fortsetzung im Hochchor; man merkt, wie im Verlauf verschiedener Bauperioden sich der zur Zeit neue Baustil durchsetzte. In die strenge Westfassade, die eine architektonische Gliederung vermissen läßt, ist bereits ein frühgotisches Portal mit Spitzbogen eingeschnitten, während auf der Südseite noch ein romanisches Portal mit Stufengewände und vorgestellten Rundsäulen in die Kirche führt. Dabei ist bereits erkenntlich, daß die ursprüngliche Basis der Kirche tiefer gelegen sein muß, was auch die Basen der Pfeiler in der Kirche bestätigen, die unbedingt tiefer liegen als das heutige Kirchenpflaster. Die heutigen Rundfenster entstammen erst dem 17. Jahrhundert; früher waren an der Hochwand kleine Fenster mit spitzbogigem Gewände, wie man auf dem Kirchenboden noch nachsehen kann. Da anzunehmen ist, daß der beim Türkenbrand im Jahre 1529 zugrunde gegangenen Einwölbung eine romanische Periode vorausgegangen ist, waren diese Fenster ursprünglich, wie das Modell des Propstes Heinrich zeigt, mit Rundbogen in romanischer Art abgeschlossen. Der Hochchor ist eindeutig gotisch. Hohe Seitenwände mit schmalen hohen Fenstern, an deren Gewänden sich die gotische Profilierung erhalten hat. Die einstmaligen Maßwerke fielen entweder samt den Gemälden dem Brand zum Opfer oder, was wahrscheinlicher ist, wurden in der Barockzeit abgeschlagen, da noch Reste unter dem Musikchor gefunden wurden. Während die Hochwand des Kirchenschiffes durch die Mauern und Gewölbe der Seitenschiffe gestützt wird, mußten den Wänden des Hochchores eigene Strebepfeller, von denen aus sich Strebebögen gegen die Wände stemmen, Halt geben.Von den Ansatzpunkten der Bogen erheben sich »Leiber, mit Blendmaßwerk und Wappen. Leider wurden die Strebepfeller und Bogen auf der Nordseite durch das Archiv, auf der Südseite durch die neue Sakristei fast völlig verbaut und so um ihre Wirkung gebracht. Auf der Spitze der östlichen Giebelmauer hat sich noch eine schöne Kreuzblume erhalten. Der Kirchturm wurde 1780 in dieser Größe aufgerichtet und mußte nach kaum 3 Jahrzehnten abgetragen und in der heutigen Form im Jahre 1804 neu errichtet werden.
Im Schiff ist die romanische Grundlage unverkennbar. Der Raum wird durch spitzbogige schwere Arkadenpfeiler dreigetellt, und zwar so, daß je einem Joch des Mittelschiffes zwei Joche in den Seitenschiffen entsprechen. Das Hauptschiff hat eine Breite von 7,70 m, die Seitenschiffe 3,90 in nördlich und 3,85 m südlich, zusammen 7,75 m. Wie vorher erwähnt, liegt die Basis der Pfeiler tiefer als das heutige Kirchenpflaster, so wie auch das gotische Gewölbe höher lag als das heutige Tonnengewölbe aus dem 16. Jahrhundert. Beim Wiederaufbau aus dem Schutt wurde dieser nicht restlos entfernt, sondern der Einfachheit halber, teilweise als Grundbau verwendet, wodurch das heutige Niveau angehoben wurde. In den Seitenschiffen blieben die Kreuzgewölbe erhalten. Die Krypta ist der am reinsten erhaltene Teil aus der Zeit Propst Heinrichs, in die aus den Abseiten je 11 Stufen hinabführen. Die Krypta des Frühmittelalters hat sich aus der Confessio Märtyrergrab der alten römischen Kirche entwickelt. Da der Altar der Krypta stets die Gebeine besonders verehrter Heiliger barg, kam ihr eine hervorragende Bedeutung zu; sie war die Zufluchtsstätte in Zeiten besonderer Heimsuchungen. Während die ersten Krypten in Nachahmung der Katakomben Unterkirchen entweder ring- oder schachtartig waren, brachte die Jahrtausendwende die Hallenkrypta, wie wir sie in Ardagger vorfinden. Der Raum mit 13,10 in Länge und 7,34 in Breite ist durch zwei Reihen von je sieben Säulen dreigeteilt; den Säulen, die Knospenkapitelle tragen - aber auch verschlungene Blatt- und Akanthusformen kommen vor - entsprechen an den Wänden Pfeiler, die unten mit einer Sockelmauer verbunden sind; letztere bildet zugleich Sitzbänke zum Gebrauch der Gläubigen. In der fast quadratischen Apsis stand der Reliquienaltar, heute ein Marienaltar. Am Anfang gewährten nur ein Rundbogenfenster in der Apsis und zwei solche in der Nordwand dem Lichte spärlichen Einlaß; die rechteckigen Fenster wurden erst gegen Ende des 19. Jhdt. ausgebrochen, um mehr Licht für den Raum zu gewinnen und die mystische Wirkung damit zu zerstören.
Die ungemein reiche Stuckierung verdankt die Stiftskirche dem Propst Melchior von Pergen, 1662-1700, der das von Propst Grübler und Andreas Birk wiederhergestellte Gotteshaus im Geschmack seiner Zeit ausschmücken ließ. Giovanni Colomba aus Lugano dürfte 1678 die Stuckierung der Wände und Gewölbe ausgeführt haben. Sicherlich hat er vorher, um 1670, in den Gastzimmern des Stiftes Kremsmünster und nach 1680 in St. Florian gearbeitet. Er starb 1690 in Warschau. Leider wurde 1830 ein Großteil der Stuckierung abgeschlagen, aber was im Hauptschiff erhalten geblieben ist, ist der Bewunderung würdig. Die ganze Fläche der Gewölbetonne wie die Linien der Architektur in den Bögen, Graten, auf den Kämpfern und Friesen wurde phantasievoll gestaltet. Dabei begnügte sich der Künstler nicht mit bloßem Ornament, sondern geht in Vollplastiken - wie Engel im Hochchor - sogar in die Figuren der vier Evangelisten über. Von ganz besonderem Reiz sind die in die Flächen eingesetzten Ornamentstücke. Zwischen 1690 und 1700 hat der Maler Johann Däläro aus Bologna sowohl die Kartuschen mit Fresken wie auch einen Großteil des Stukkos bemalt. Wenn auch die Malerei des Däläro sich mit der Kunst der späteren Daniel Gran oder Maulpertsch nicht messen kann, muß ihm doch für sein feines Farbempfinden hohe Anerkennung gezollt werden. Ohne unangenehm Natur nachzuahmen, hat er die Blattgirlanden und die Früchtekränze im Hochschiff zu zarter pastellartiger Wirkung bemalt und den Farbtönen seiner Fresken im farbigen Stukko ein feinerfühltes Echo geschenkt. Da nun das freigelegte Glasgemälde in voller Pracht erstrahlt, kommt die symphonische Kraft seines Werkes voll zur Geltung. Nachdem das Stift seit dem 17. Jhdt. trotz seines freisingischen Ursprunges und Patronates als landesfürstlich behandelt wurde, ist es verständlich, daß die österreichische Note immer stärker, selbst im Kirchenraum zum Ausdruck kommt. Nicht weniger als sechsmal findet sich der österreichische Doppeladler mit Bindenschild; über dem Spitzbogen der ersten und dritten Arkade beider Hochwände und auf der Innen- und Außenseite des Scheitelbogens, der Hochchor und Schiff trennt. In der Kartusche über dem Hochaltar sitzt der hl. Markgraf Leopold von Österreich, das wallende Lerchenbanner von Niederösterreich in der Hand, während ihm in den Wolken die Muttergottes, die Magna Mater Austriae, erscheint. Im ersten Farbenfeld auf der schiffseitigen Scheitelwand vor dem Hochchor ist die bekannte Geschichte »Rudolf von Habsburg begegnet einem Priester mit dem Allerheiligsten« dargestellt. Dazu ist zu lesen: Religio Austriacorum - der Glaube der Österreicher. Verfolgen wir nun die Freskomalerei von der Altarnische des Hochchores aus. In den Gewölbekappen des Halbjoches über dem Hochaltar die drei göttlichen Tugenden, in der Mitte die Liebe als Frau mit einem Kind auf dem Schoß, links und rechts Glaube und Hoffnung. Über die Scheitelhöhe des Gewölbes ziehen sich Darstellungen des Martyriums der hl. Margareta, ihre Folterung und ihre Enthauptung, endlich Maria und Josef. Vorne ist eine Frau mit Krone, die sich bittend an die hl. Margareta wendet, wohl die als Stifterin betrachtete Gemahlin Heinrich III. Agnes von Poitou, an die auf der gegenüberliegenden Wand die Inschrift unter dem Doppeladler erinnert: Agnes Henrici III. Imperator. Contoralls in partu periclitans fundavit et dotavit hanc collegiatam ecclesiam Ardacensem in honorem Sanctae Margaritae Virginis et Martyris Anno Domini MXLIX. (Agnes die Ehefrau des Kaisers Heinrich III., hat in der Schwergeburt diese Kollegiatskirche zu Ehren der hl. Jungfrau und Martyrin Margareta zu gründen gelobt und bestiftet im Jahre des Herrn 1049.) In den seitlichen Kartuschen werden die Patrone der zum Stift gehörigen Pfarrkirchen gefeiert. Rechts St. Stephanus, der Erzmartyrer der Kirche, inmitten zweier Engel, die Symbole seiner Blutzeugenschaft in den Händen halten, die Steine mit denen er erschlagen wurde, und die Palme des Martyriums, darunter ein Bild der Kirche Stephanshart. Gegenüber der hl. Apostel Jakobus der Ältere, Patron der Kirche von Zeillern, den das Mittelalter als Schutzherrn der Pilger - darum Engel mit Pilgerstab und Flasche - hoch in Ehren h;elt; als zweites Paar St.Odilia, die der Legende nach durch die hl. Taufe von angeborener Blindheit wunderbar geheilt und dadurch in Augenleiden angerufen wurde; ein Engel hält auf einem Buch ein Augenpaar, während ein anderer Buch und Kelch in der Hand hält, da die Legende erzählt, die Heilige habe vor dem Sterben, da kein Priester vorhanden war, sich aus dem herbeigebrachten Kelch selbst die Wegzehrung gereicht; ihr ist die Kirche von Kollmitzberg gereicht. Ferner der hl. Nikolaus von Bari als Kirchenpatron von Ardagger Markt, der als Wasserpatron längs der Donau - man denke an das schöne Altarbild vom Kremser Schmidt in Stein - sehr volkstümlich ist und als Einleger - darum die drei Goldkugeln auf dem Buch des Engels - namentlich die liebende Zuneigung der Kinder genießt. Im Kirchenschiff erblickt man oben im Scheitel des Tonnengewölbes ein großes Fresko, darstellend das Urteil des Königs Salomon, dann den Triumpf des Allerheiligsten Sakramentes in der Kirche, schließlich das von Walliser wiederhergestellte, leider früher einmal übertünchte und ruinierte Fresko von der Sendung des hl. Geistes. In den seitlichen Kartuschen der Stichkappen rechts Sibilla cumana, gegenüber die Sibilla delhica. Bekanntlich hat Michelangelo diese heidnischen Prophetinnen an der Decke der Sixtinischen Kapelle gemalt), als nächstes Paar Noe mit der Arche, gegenüber der Täuferjohannes mit Lamm und Spruchband: Ecce agnus Dei (seht das Lamm Gottes) dann der Apostel Petrus, gegenüber St. Paulus, schließlich Moses mit den Gesetzestafeln und gegenüber der Prophet Elias am Bache Karith, beide waren Zeugen zur Seite Christi, des Verklärten, auf dem Berge Tabor; der letzte Teil des Gewölbes war nie bemalt und wurde durch Dr. Walliser getönt.
Das Chorgestühl im Priesterchor hat 1627 Propst Johann Kaspar Stredele von Montani
aufstellen lassen. Propst Stredele hat in der von Propst Grübler wieder aufgebauten
Kirche das Chorgestühl beschafft, damit, dem ursprünglichen Sinn der Stiftung
entsprechend, täglich das Chorgebet des Kollegiums zur hl. Margareta gehalten werde.
Leider war zur Zeit der Aufstellung dieses Gestühles der Chor nur mehr auf die Vikare
angewiesen, aber er zeugt für den guten Willen des Propstes zur katholischen Erneuerung.
Die Rückwand des Gestühles, das wir als ein Prachtstück der deutschen Renaissance
ansprechen müssen, wird durch zehn kannelierte Säulchen in neun Felder geteilt, die
Felder schmücken Tafeln mit Flechtwerk oder Tierfratzen, darüber gebrochene Giebel, in
der hohen Wand des Gesimses Engelköpfe, den Abschluß an der Wand bilden bewegte Voluten,
dazwischen Türmchen und Wappenschilder. Die Vorderwand der Kniebank gliedern zehn
Pilaster mit Flechtwerk, dazwischen wieder Tafeln mit reicher Ornamentierung. Der gleichen
Zeit wie das Chorgestühl gehören wohl auch die darüber angebrachten großen Gemälde
eines unbekannten Meisters an: auf der Evangelienseite der göttliche Kinderfreund und
Jesus am Ölberg, auf der Epistelseite Ecce homo und die Kreuzabnahme Christi. Die
Ausgänge des Presbyteriums hat Propst Melchior von Pergen 1696 und 1700 mit
Marmorgewänden verkleiden lassen.
Die Kanzel stammt aus dem Jahre 1796. Etwas Besonderes ist die Orgel, erbaut im Jahre 1620
von dem berühmten Passauer Orgelbauer Sigismund Freynd, der auch die Klosterneuburger
Orgel schuf. Freynd baute sie ohne Pedal, erst 1770 ließ der letzte Propst des Stiftes,
Graf von Auersperg, das Positiv bauen, ein Pedal und drei Blasbälge einbauen. Über
Auftrag" des Konsistorialrates Karl Ramharter, Pfarrer in Kollmitzberg und in Stift
Ardagger, wurde die Orgel durch die Fa. Reinisch-Pirchner aus Steinach in Tirol den
ursprünglichen und den heutigen musikalischen Anforderungen entsprechend restauriert,
nachdem in den letzten Jahrzehnten die Pflege und Reparaturen nicht ganz fachgemäß
durchgeführt worden waren. Die Orgel wurde nach dreijähriger Arbeitszeit im Jahre 1977
feierlich eingeweiht.
An der Nordseite der Stiftskirche verbindet der Kreuzgang Kirche und Propstei; die
einzelnen Trakte haben zwischen 21 und 23 m Länge. Von der Westseite kann man vom
Friedhof, ohne die Kirche zu betreten, in den Kreuzgang gelangen. Die West- und Nordseite
besitzt mit dem heutigen Schloß einen gemeinsamen Dachstuhl, dessen eine Hälfte das
Schloß und die andere Hälfte den Kreuzgang überdacht. Aus diesem Grunde ist
erklärlich, daß der Kreuzgang nicht zur Kirche gehört, sondern dem Gut zugeeignet ist.
Diese Eigentumsverhältnisse wurden aber erst im Jahre 1983 festgestellt. Bis zu diesem
Zeitpunkt wurde er von der Kirche benützt und innen erhalten. Einfache
Kreuzrippengewölbe mit abwechslungsreich gearbeiteten Schlußsteinen (Schlange, Stern,
segnende Hand, Sirene, Brustbild eines Mannes, Blatt, Hahn, Doppelrosette usw.)
überdachen ihn; in den stimmungsvollen Klostergarten öffnen sich die steinwändigen, mit
Maßwerk (gespitzter Vierpaß) geschmückten Fenster, die eine moderne Verglasung
aufweisen. Die in den mittelalterlichen Kreuzgängen übliche Brunnenkapelle auf der
Westseite wurde unter Propst Egilolf Fridpolt 1410 auf Kosten des frommen Chorherren Paul
von Mautern in eine Altarkapelle umgebaut und, wie es in der Urkunde heißt:»ze lob dem
almächtigen got, in den eren der lieben vnser Frawn vnd aller hyligen, besunderlich ze
dienst den heyligen drein chünigen Caspar, Balthasar vnd Melchior, darzu dem heyligen
chunig und martrer Sygmunden vnd der heyligen Junkfrawn und martyrerin sand Barbara«
geweiht, sie heißt heute noch die Dreikönigskapelle. Im Zuge der Stukkierung der Kirche
wurde auch diese Kapelle mit Stuck versehen, der aber teilweise wieder verloren gegangen
ist. Über dem Eingang deutet die Inschrift Capella SS Trium Regum 1410 auf die Zeit der
Errichtung hin. Auf der Ostseite des Kreuzganges wurden nach dem zweiten Weltkrieg
frühgotische Wandmalereien freigelegt.